Herausgegeben von Irene Joekel-Siewerth
Christa Meves & Gustav Siewerth
Erziehende Liebe in der Familie - eine Vorgabe Gottes
Das vorliegende Bändchen vereinigt Texte zweier großer Persönlichkeiten, die sich um die geistige, seelische und somit mittelbar auch um die leibliche Gesundheit vieler Menschen in unserem Land und weit darüber hinaus in hohem Maße verdient gemacht haben: Texte des christlichen Philosophen und Pädagogen Gustav Siewerth (1903–1963) und der seit über 40 Jahren rastlos tätigen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und wissenschaftlichen Publizistin Christa Meves (1925), deren zahlreiche Bücher schon Millionen von Lesern gefunden haben und in viele Sprachen übersetzt worden sind. Was aber ist das gemeinsame Anliegen beider Personen, das in ihren Texten zum Ausdruck kommt, die in diesen Band aufgenommen worden sind?
Das gemeinsame Anliegen beider Autoren bringt der Titel dieses Bandes „Erziehende Liebe in der Familie – eine Vorgabe Gottes“ in programmatischer Form zum Ausdruck: Es geht ihnen um die fundamentale, für eine Gesellschaft überlebensnotwendige Bedeutung der erziehenden Liebe in der Familie, auf die sie mit ihren Texten eindringlich hinweisen wollen und für die insbesondere Christa Meves eine ganze Reihe von aus langjährigen therapeutischen Erfahrungen wie auch von aus der neueren Hirn- und Hormonforschung hervorgehenden handfesten Belegen aufbietet. Dieses gemeinsame Anliegen beider Autoren wird von ihren in diesen Band aufgenommenen Texten in jeweils unterschiedlicher Weise akzentuiert: Denn während die für diesen Band neu bearbeiteten Beiträge von Christa Meves von den empirisch feststellbaren bzw. konkret belegbaren dramatischen Fehlentwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte in unserer Gesellschaft ausgehen und als deren maßgebliche Ursache die Erosion der Familie und für diese wiederum die soziale und ökonomische Diskriminierung der Mutterschaft als deren entscheidende soziale Ursache diagnostiziert, legt der bereits 1952 erstmals erschienene, in die Einleitung von „Wagnis und Bewahrung“ als der wichtigsten Sammlung von pädagogischen Schriften Gustav Siewerths aufgenommene, 1965 in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt nochmals als ein Sonderdruck aufgelegte und 2005 im Verlag der Gustav-Siewerth-Gesellschaft Konstanz neu herausgegebene Text Gustav Siewerths eine Wesensbestimmung der Erziehung als eines Grundakts geistiger personaler Liebe zugrunde, der sich nur in der Vielfalt der natürlichen Formen menschlicher Liebe angemessen beschreiben lässt.
Die elementaren Formen natürlicher und (wesens-)ursprünglicher Liebe zwischen Menschen aber sind für beide Autoren erstens die gesunde mütterliche Liebe, die in dem Kind Urvertrauen und Bindungsfähigkeit verankert, wovon es nicht nur emotional, sondern in seiner ganzen Persönlichkeit ein Leben lang zehrt und ohne die es höchste Gefahr läuft, schwere psychische Störungen wie Suchterkrankungen und Depressionen als lastende Hypothek seines gesamten späteren Lebens davonzutragen. Dafür stellen die Beiträge von Christa Meves ein reiches und zugleich erschütterndes Beleg- und Anschauungsmaterial bereit. Nicht weniger bedeutsam als die mütterliche aber ist nach dem Beitrag Gustav Siewerths die väterliche Liebe zum Kind, ohne die das Kind häufig zu einem in sich selbst verliebten, lebensuntüchtigen Erwachsenen degeneriert. Auch für das spätere Gottesverhältnis eines Menschen ist nach Siewerth das väterliche Vorbild nicht weniger wichtig als die mütterliche Liebe. Siewerth definiert „Erziehung“ sogar als „In-Gewahrnahme des Kindes in vaterschaftlicher Verantwortung“, wobei diese „vaterschaftliche Verantwortung“ idealerweise von beiden leiblichen Eltern wahrgenommen werden und nur im Not- und Ausnahmefall auch von einer oder zwei anderen Personen übernommen werden sollte. Beide Autoren möchten vor allem aufzeigen, dass jedes Kind die erzieherische Liebeszuwendung möglichst beider Eltern braucht, um sich zu einer seelisch und körperlich gesunden, einer harmonischen und reifen Persönlichkeit überhaupt entwickeln zu können.
Für beide Autoren liegt diese elementare Bedeutung der gemeinsamen liebenden und erzieherischen Fürsorge beider Elternteile für ihre Kinder, insbesondere aber der ungeteilten Fürsorge der leiblichen Mutter für ihre Kinder zumindest während ihrer ersten drei Lebensjahre, in der christlichen Schöpfungsordnung begründet – und das aus gutem Grund: Denn die Familie mit ihren tragenden Säulen einer liebenden, hingebungsvollen und opferbereiten Mutter- und Vaterschaft ist nach allen seriösen humanwissenschaftlichen Erkenntnissen die elementare natürliche Voraussetzung einer gesunden Persönlichkeitswerdung und -entwicklung des Kindes. Diese Naturgegebenheit, deren Missachtung auf Dauer zum Ruin einer Gesellschaft führt, dessen gegenwärtige Symptome von Meves unmittelbar und direkt benannt und von Siewerth in eher allgemeiner Form prognostiziert werden, ist für einen Christen eine Vorgabe Gottes als des Schöpfers der natürlichen Seinsordnung allen menschlichen und irdischen Lebens überhaupt. Beide Autoren sind daher zutiefst davon überzeugt, dass die tiefgreifende gegenwärtige Krise der Familie als der gesellschaftstragenden Institution, die schon vor Jahrzehnten einsetzte und ihren Höhepunkt immer noch nicht erreicht zu haben scheint, die Erscheinungsform letztlich einer religiösen Krise darstellt, die in der Gottvergessenheit und Abkehr des postmodernen Menschen von Gott und der von ihm geschaffenen Seinsordnung wurzelt.
Doch beide Autoren weisen auch konkrete Wege aus dieser Krise, die über den allgemeinen Appell zur Erneuerung der eigenen Verantwortung für die Familie, der Mutter- und Vaterschaft als ihrem Fundament sowie der eigenen Religiosität als dem Motivationsgrund für eine solche Erneuerung hinausgehen: Der ans Ende dieser Textsammlung gesetzte Beitrag von Christa Meves, in dem die Autorin ein wohlüberlegtes und langfristig auch ökonomisch vorteilhaftes Konzept zur Lösung des Problems der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorschlägt, das den natürlichen Erfordernissen sowohl einer verantwortlichen Mutterschaft als auch den berechtigten Bedürfnissen junger Frauen nach beruflicher Selbstverwirklichung Rechnung trägt, sollte auf breiter gesellschaftlicher Front ernsthaft und intensiv diskutiert werden. Denn ohne eine angemessene „Kapitalisierung“ der erzieherischen Leistung in der Familie, insbesondere der Mutterschaft, ohne ihre massive berufliche und damit auch ökonomische und soziale Aufwertung wird unsere Gesellschaft auf Dauer nicht überlebensfähig sein. Daher ist dieser Beitrag von Christa Meves zugleich auch ein Appell an die politisch Verantwortlichen in unserer Gesellschaft.
Irene Joekel-Siewerth