Mit einem Vorwort zur Neuauflage von Prof. Dr. Michael Schulz
GUSTAV SIEWERTH
THOMAS VON AQUIN - DIE MENSCHLICHE WILLENSFREIHEIT
Die Gustav-Siewerth-Gesellschaft Konstanz (gustav-siewerth.de) legt
mit diesem Band ein weiteres Werk des Philosophen und Pädagogen
Gustav Siewerth (1903-1963) in Neuausgabe vor. Es handelt sich vor
allem um eine umfangreiche Einleitung, die Siewerth zum Thema der
menschlichen Willensfreiheit verfasste und die er ausgewählten Texten des
mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin (1225-1274) voranstellte.
Das Buch erschien erstmals 1954. Gegenüber Descartes und Kant stellt
Siewerth die thomasische Vorstellung von der Substantialität physischer
Realität und biologischer Lebensformen heraus, um die unbelebte
und belebte Natur nicht mechanistisch auf bloße Funktionsgefüge
zu reduzieren. Vielmehr sollen natürliche Akteure als eigenständige
Wirklichkeiten gewürdigt werden, die auf die Genese der menschlichen
Freiheit verweisen.
Mit Thomas versucht Siewerth zugleich über ihn
hinzugehen, indem er den freien Willen nicht als ein dem menschlichen
Erkennen untergeordnetes Seelenvermögen deutet, sondern Freiheit mit
der Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes identifiziert.
Ausführlich erörtert Siewerth die Ausführungen des Thomas zur Thematik des Bösen.
Michael Schulz
Die Gustav-Siewerth-Gesellschaft Konstanz (gustav-siewerth.de) freut sich, hiermit ein weiteres Werk des Philosophen und Pädagogen Gustav Siewerth (1903-1963) in Neuausgabe vorlegen zu können. Es handelt sich vor allem um eine umfangreiche Einleitung, die Siewerth zum Thema der menschlichen Willensfreiheit verfasste und die er ausgewählten Texten des mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin (1225-1274) voranstellte. Das Buch erschien erstmals 1954 im Schwann-Verlag in Düsseldorf.
Siewerth erläutert in seiner Einleitung das Prinzip der Textauswahl. Präsentiert werden philosophisch orientierte Texte aus den „problemreichen, spekulativ ursprünglicheren Abhandlungen ‚über die Wahrheit‘“ (18) (Quaestiones disputatae de veritate 22, 24, 25, 26), die als Ziel des Menschen das Gute bestimmen. Diesen Erörterungen aus De veritate stellt Siewerth die 6. Quaestio aus den Disputationes über das Böse voran, da sie in ausgezeichneter Weise die thomasischen Ausführungen zur Freiheit des Willens bündelt und nach Einschätzung Siewerths „in die Mitte der ontologischen Probleme“ (19) der Freiheitsthematik führt. Siewerth verzichtet auf den Abdruck der ausgereiften Abhandlungen aus der Summa Theologiae (I-II), die über den freien Willen im theologischen Zusammenhang der Fragen nach dem letzten Ziel des Menschen handeln. Dieses letzte Ziel des Menschen wird durch Gottes Offenbarung im Heilswirken Jesu Christi zugänglich und wirklich: die ewige Seligkeit in der Gottesanschauung. In seiner Einleitung bezieht sich Siewerth aber auch auf diese theologisch verorteten Überlegungen des Thomas zur Freiheit; dadurch bietet er ein kohärentes Gesamtbild.
Die Texte dieser Auswahl sind heute in besseren kritischen Ausgaben mit neuen, besseren Übersetzungen zugänglich. Aber der Wert dieses Buches liegt in Siewerths Einleitung, zu der dieses Vorwort einige Hinweise geben möchte.
In seiner Rezension würdigt der Dominikaner Louis-Bertrand Geiger (1903-1983) Siewerths Verdienst, die Freiheitslehre des Thomas in den Kontext der thomasischen Metaphysik gestellt zu haben (Bulletin Thomiste 9 [1954-56], 335-336). Ähnlich preist der Moraltheologe Arthur Janssen (1886-1979) den großen Tiefgang, mit dem Siewerth die thomasische Metaphysik der Freiheit behandelt (Ephemerides Theologicae Lovanienses 31 [1955], 456), in gleicher Weise äußern sich der Philosoph und Theologe Joseph Möller (1916–2007) (Theologische Quartalschrift 135 [1955] 91-92) und Franciscus de Raedemaeker (Bijdragen 18 [1957] 327). Dieser Tiefgang verhindert nach Einschätzung des Jesuiten Georg Trapp gerade nicht, dass Siewerth die inneren Spannungen zwischen einzelnen Aussagen des Thomas von Aquin zum freien Willen markiert (Theologische Revue 52 [1956], 271-272) und, gestützt auf Aussagen des Thomas, zu einer Neubewertung der ontologischen Vorrangstellung des menschlichen Erkenntnisvermögens (Verstand, Vernunft) vor dem freien Willen vorstößt. Auch der Jesuit und Philosoph Emerich Coreth (1919-2006) begrüßt in seiner Besprechung (Zeitschrift für katholische Theologie 77 [1955], 231) Siewerths Initiative, die für Thomas‘ Denken kennzeichnende Unterordnung des Willens unter die Vernunft zu überwinden. In einem „kritischen Referat der Siewertschen Arbeit“ erörtert der Tübinger Professor für Philosophie Ludger Oeing-Hanhoff (1923-1986) in einem eigenen Aufsatz Zur thomistischen Freiheitslehre diese „vielleicht tiefste Untersuchung zur Metaphysik der Freiheit“. Ähnlich wie Emerich Coreth unterstreicht ebenso Oeing-Hanhoff, dass Siewerth anhand der Thomas-Texte die substantielle Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes herausstellt, die durch eine „intuitive, nicht durch die Sinne vermittelte Offenbarkeit der Willensakte“3 möglich sein soll. In der Gegenwart spricht man von einer präreflexiven Vertrautheit des Selbstbewusstseins mit sich selbst als Möglichkeitsbedingung jedes intentional-voluntativen Aktes1. In dieser Vertrautheit mit sich ist auch ein nicht-intentionales Sichwollen impliziert. Diese Selbstgegebenheit des Bewusstseins verweist schließlich auf einen Grund, der das Aufkommen des Selbstbewusstseins verantwortet.
Wenn Siewerth daher die apriorische Selbstgegebenheit und Selbstursprünglichkeit des Geistes seinsphilosophisch deutet, nach der sich diese Selbstgegebenheit und Ursprünglichkeit
des Geistes dem Sein verdankt, widerspricht diese Auffassung nicht der These vom Grund, der für das Aufkommen des Selbstbewusstseins verantwortlich ist. Siewerth insistiert auf
der Vorstellung von der Selbstgegebenheit des Geistes, um den freien Willen nicht ausschließlich als Vermögen der Seele zu erschließen, sondern um Freiheit als Äquivalent von
Geist und Subjektivität zu schließen. Siewerth übergeht nicht die Überlegungen des Thomas zu den Seelenvermögen, zu denen Erkennen und Wollen gehören. Aber er setzt alles daran,
die Einheit der Seelenvermögen verständlich zu machen sowie die „Einheit und Ganzheit des Subjekts“, wie Oeing-Hanhoff betont2. Modern gesprochen, ist es der Mensch, der sich
in seiner Selbstgegebenheit als Freiheitssubjekt aufgeht. Aber auch für dieses Freiheitssubjekt gilt, dass es für sein Aufkommen nicht verantwortlich zeichnet. Der freie Wille
fängt zwar selbstursprünglich ganz bei sich, aber er fängt sich nicht selber an (Romano Guardini), er ist sich gegeben von jenem Grund. Diese Thomas-Deutung Siewerths findet
die Anerkennung Oeing-Hanhoffs3. Siewerths Thomas-Deutung folgt einer augustinisch-idealistischen Hermeneutik, die er insbesondere in seinem maßgeblichen Werk Der Thomismus
als Identitätssystem (1939/1961/1979) entfaltet. Auch die erwähnte Diskussion der Präferenz, die Thomas dem Erkennen vor dem freien Wollen einräumt, steht in diesem hermeneutischen
Zusammenhang: Die Selbstursächlichkeit der Freiheit verlangt es, ihr als Äquivalent des menschlichen Geistes (Subjekts) eine fundamentale Stelle einzuräumen.
Fragen, wie die nach dem „Vorrang der Vernunft vor dem Willen“ (155) oder nach der Selbsterkenntnis der Seele, hat Siewerth über die entsprechenden Hinweise in der Einleitung hinaus
eigene Exkurse gewidmet, die er als Anhang der Einleitung anfügt. So erhält auch die Frage nach der „Determination und der Freiheit in der Natur“ (146) einen eigenen Exkurs sowie
„Descartes’ Lehre von der Freiheit und Sartres Deutung“ (149). Den Schritt zur Theologie kennzeichnen seine Exkurse zum willentlichen Charakter der Gottesschau und die Erörterung
der gnadentheologischen Debatten zwischen Repräsentanten des „Thomismus und Molinismus“ (165).
Gegenüber Descartes und Kant stellt Siewerth die thomasische Vorstellung von der Substantialität physischer Realität und biologischer Lebensformen heraus. Auf diese Weise beabsichtigt er,
die Gefahr abzuwenden, unbelebte und belebte Natur mechanistisch auf bloße Funktionsgefüge zu reduzieren. Vielmehr sollen sie als eigenständige Wirklichkeiten gewürdigt werden, die
ihre Konstitutionsbedingungen überschreiten und ein Ansichsein darstellen. Nur in dieser Perspektive wird ersichtlich, dass der Mensch als Wesen der Freiheit und Selbstbestimmung aus
der Evolution der Natur hervorgegangen sein kann und nicht eine völlig andersartige Lebensform im Gegensatz zu einer deterministisch verstandenen Natur darstellt.
Siewerth widmet einem Abschnitt der „Freiheit des Tieres“ (43), um mit Bezug auf Thomas von Aquin im tierischen Verhalten eine „‚gewisse Ähnlichkeit mit dem freien
Entscheidungsvermögen‘“ (44) aufzuzeigen. Thomas zufolge kommt dem Tier die Freiheit zu, von sich aus zu handeln und ihm widerfahrende Ereignisse und Begegnungen mit anderen
Lebewesen urteilend einzuordnen. Das Handeln des Tieres folgt also keinem bloßen Mechanismus, sosehr Instinkte und angeborene Verhaltensprogramme auch zu seiner Naturausstattung
gehören mögen. Aber diese Naturausstattung ist auf die substantielle Mitte des Tieres hin integriert; es handelt das Tier und nicht seine Naturausstattung mit ihm. Die Flucht
eines Tieres vor einem Raubtier folgt demnach nicht deterministisch aus der Natur des Fluchttieres. Vielmehr erfasst der Hase die Gefährlichkeit des Wolfes im Hinblick auf
seine eigene Natur und nimmt deshalb von sich aus Reißaus.
Für Siewerth besteht die Leistung des Thomas darin, in der Substanz den metaphysischen Grund für alles Wirken zu erkennen, angefangen bei Pflanzen und Tieren bis hin zum Menschen.
Dadurch gelingt es, den Menschen als Wesen der Freiheit in ein umfassendes metaphysisches Naturverständnis zu integrieren und den Dualismus zwischen Freiheit und Natur zu überwinden.
Diese Konzeption ist gerade in der Gegenwart von Aktualität; sie bietet eine Metaphysik der Ökologie, die Eigenwert und Eigenwürde nicht-menschlicher Akteure im Naturgeschehen
zur Geltung bringt.
Siewerths Erläuterungen des Bösen im Verständnis des Thomas von Aquin (123-144) zielen zunächst darauf ab, den metaphysisch-ontologischen Sinn der Vorstellung zu erschließen, nach
der das Böse nur unter dem Vorwand des Guten erstrebt werden kann. Deshalb ist das Böse in sich nichtig (privatio boni, privatio entis). Die These, dass das Böse unter dem Anschein
des Guten im Handeln angezielt wird, veranlasst Siewerth dazu, das Verwirrende und Scheinhafte der endlichen Wirklichkeit von Thomas her zu erschließen. Das erweckt manchmal
den Eindruck, als ob Siewerth das thomasische Verständnis des Endlichen der von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) entwickelten Vorstellung annähert, nach der das Endliche
ein malum metaphysicum darstellt, da es als das Andere Gottes niemals auf der Stufe göttlicher Vollkommenheitstehen kann und selbst in seiner endlichen Vollkommenheit
(sofern sie erreicht wird), begrenzt bleibt. Die irritierende Vielheit der endlichen Wirklichkeit begreift Siewerth als Manifestation eines Mangels: nur in pluraler Spreizung
gelingt es dem Endlichen, die einmalig existierende Vollkommenheit Gottes nachzuahmen. Der unaufhebbare Mangel ist ebenso „mit der geistigen Natur des Menschen wie des Engels
gegeben“ (130). Diese Mangelhaftigkeit des Endlichen und der geschaffenen Geistnatur bringt Siewerth in den Zusammenhang mit der Herkunft von allem, das nicht Gott ist - dass
nämlich die endliche Realität „vom Nichts her ihren Ausgang nimmt“ (130). Siewerth bezieht sich dabei auf Thomas, der formuliert, dass exklusiv Gott ex nihilo agit (De
veritate, q. 24 a. 1 s. c. 2). Er folgt der Suggestivkraft des Ausdrucks ex nihilo, wenn er diese Herkunft des Endlichen aus einem dunklen Abgrund in der Vielfalt und
Nichtigkeit des Endlichen sowie im menschlichen Willen wiederentdeckt: „Diese Nichtigkeit [des Nichts] waltet … in aller Zufälligkeit und Partikularität des geschöpflichen
Seins, im besonderen Maß aber in der Materialität, mit der unsere menschliche Natur verwachsen ist, so dass aus dem Ungeformten, Unbestimmten, Beiläufigen und aus der
Scheinhaftigkeit der partikulären Wirklichkeit ein hinreichender Grund für die Unordnung und Unsicherheit in der Willensentscheidung sich ergibt.“ (130)
Offenbar bringt Siewerth die Zufälligkeit und Partikularität des Endlichen in einen Zusammenhang mit der Unordnung und Unsicherheit des Willens und seinen Entscheidungen.
Andererseits beabsichtigt er nun gerade nicht, Thomas von Aquin zu unterstellen, es gebe einen nahtlosen Übergang von der Mangelhaftigkeit, Zufälligkeit und Vielfalt des
Endlichen zu einem freien Willen, der verunsichert durch das Endliche falsche Entscheidungen trifft und ins moralisch Böse abrutscht, in dem sich erst recht das Nichts
bekundet, das gewissermaßen unterhalb des Seienden als Abgrund lauert. Vielmehr begreift Siewerth die Naturübel, die zur Mangelhaftigkeit des Endlichen gehören, im Sinn
einer soul-making-theodicy als Bewährungsraum des freien Willens, der nicht dazu determiniert ist, an seiner Unordnung und Unsicherheit zu scheitern, sondern Übel und
Unordnung zu bestehen. Ohne diese Unordnung, Unschärfen, Zufälligkeiten, verwirrende Partikularität und Naturübel gibt es Siewerth zufolge, so versteht er Thomas, weder
die Vielfalt und den Reichtum endlichen Seins und Lebens (das die göttliche Lebensfülle widerspiegelt), noch endliche Freiheit, die zu sittlich relevanten Entscheidungen
fähig ist. In der Tat kann Thomas das Universum als Bild begreifen, das nur deshalb analog der Fülle göttlichen Lebens und der Weisheit des Schöpfers Ausdruck verleiht,
weil es durch dunkle Linien seinen hellen Partien Kontrast verleiht. Siewerth zitiert die Aussage des Thomas in De potentia, q. 3 a. 6 ad 4 nach der Gott niemals das
Naturübel noch das moralisch Böse als solches will, sondern dass er es billigt und zulässt zur Demonstration seiner Weisheit und Macht, die alles zum Guten zu wenden
vermag. Wie z.B. das natürliche „Übel des leiblichen Verderbens“ der Lebenserhaltung des Löwen dient, so ermöglicht das moralische Übel der Verfolgung das „Gute der
Geduld“ (131). Thomas übernimmt dieses Verständnis des malum physicum und malum morale von Augustinus2, dem sich Siewerth anschließt. Der Einwand, dass das moralische
Übel der Verfolgung zwar Geduld bei den Verfolgten generieren mag, ohne die die Schöpfung um eine Tugend ärmer wäre, dass aber Verfolgung auch weitere Untugenden erzeugen kann,
wie Schadenfreude, die Lust an der Qual der anderen oder auch Rachegelüste bei den Opfern – dieser Einwand des australischen Religionskritikers John L. Mackie müsste noch
Berücksichtigung finden.
Festzuhalten bleibt, dass mit der Absorption auch des moralisch Bösen durch ein Gutes nicht das faktische Vorkommnis des Bösen gebilligt werden soll. Es entspringt der menschlichen
Freiheit in einer niemals notwendigen Weise. Nur wenn es einmal in der Welt ist, kann Gott aus ihm noch Gutes entstehen lassen, was nicht bedeuten muss, dass das Gute das Böse
aufwiegt oder gar neutralisiert. Im Fall von Auschwitz ist das ganz unvorstellbar. Genauso wenig kann man die 3,5 Millionen Kinder, die jährlich an Mangelernährung und Hunger
sterben, irgendwie durch ein höheres Gut ausgleichen und als dunkle Kontrastlinien in einem bunten Schöpfungsbild interpretieren.
Siewerth weist allerdings die Möglichkeit zurück, an den konkret existierenden Übeln die Zulassung des Bösen zu vermessen. Vielmehr bezieht er sich – jetzt theologisch
argumentierend – auf Gottes Entschluss, sich selber als umfassendes Heil dem Menschen mitzuteilen. Siewerth erkennt in den thomasischen Thesen zum Bösen und Guten einen
geradezu tragischen Gott, dessen je größere Liebe und Selbstmitteilung auch die Möglichkeit einer immer größeren Verweigerung aufseiten des Menschen herbeiführt. Wer
diese Möglichkeit des Bösen neutralisieren will, darf nicht lieben. Wer aber nicht liebt, entzieht dem Sein ein zentrales Gut und schmälert es, macht es nichtiger:
Die Vermeidung der Möglichkeit des Bösen durch die Verweigerung der Liebe setzt also das Böse erst recht in Kraft. Dessen Überwindung kann nur wieder durch Liebe
geschehen, was erneut die Möglichkeit des Bösen aufreißt. So kann eben auch die Geduld, die Verfolgte für sich entwickeln, die Verfolger noch mehr provozieren und
noch aggressiver agieren lassen. Die Alternative zu dieser tragisch-dialektischen Verflechtung von Gut und Böse besteht aber nur in der Vernichtung der menschlichen Freiheit.
Hegels Philosophie wird von Siewerth in diesem Zusammenhang begrüßt, weil sie mit der Vorstellung vom absoluten Geist operiere, der alle Formen des Bösen auf das Gute hin zu
beziehen und zu überwinden vermag. Gegenüber jeder List der Vernunft, mit der, Hegel zufolge, der Geist das Böse zugunsten des Guten überwindet, betont Siewerth „den erhabenen
Ernst“, der dazu notwendig ist und der sich in einer „sich opfernden Liebe“ (134) darstellt. Ob ihre Kreuzesgestalt und geduldige Demut eschatologisch jede Verstockung von
innen her aufbricht und beispielsweise die Peiniger und Mörder von Auschwitz zu Reue und Umkehr bewegt und ihre Opfer zur Vergebung ermutigt – das kann zwar vom Menschen aus
nicht gewusst werden, bleibt aber berechtigte endzeitliche Hoffnung, die auf Gottes immer noch größere Liebe angesichts noch so großer menschlicher Sünde setzt. Eine auf
Thomas sich stützende Theodizee ist für Siewerth jedenfalls diesseitig nicht abzuschließen. Wenngleich sich einzelne tragende Elemente entwickeln lassen, steht am Ende
doch eine reductio in mysterium aus Respekt vor der Freiheit Gottes, der Freiheit des Geschöpfs und vor dem überraschungsreichen Zusammenspiel beider Freiheiten. In diesem
spezifischen Sinn kann man Siewerths Thomas-Deutung den Theodizee-Ansätzen zurechnen, die man mit dem Label Free-will-defense versieht.
Diese kursorischen und unvollständigen Anmerkungen zu Siewerths Einleitung in die Thomas-Texte zum freien Willen machen nochmals deutlich, dass sie eine eigene Abhandlung darstellt. Sprache und Stil mögen nicht mehr zeitgemäß wirken, aber die behandelte Thematik ist es allemal.
Schließlich bleibt denjenigen zu danken, die am Zustandekommen dieser Veröffentlichung beteiligt waren. Zu danken ist Frau Marsha Verheyen für das Einscannen aller Texte und das unermüdliche Korrekturlesen. Ganz besonderer Dank gilt Herrn Corvin Rabenstein für die Projektleitung und das Erstellen des endgültigen Textsatzes. Ohne den geduldigen Einsatz der Genannten würde dieses Buch Gustav Siewerths nicht in neuer Fassung vorliegen.
Bonn, im Dezember 2018Michael Schulz